Schwindel

 

1.      Einleitung:

Oft fällt nur ein Wort: Schwindel. Schwindel ist jedoch ein Symptom, welches ganz unterschiedliche Ursachen haben kann. Ebenso vielfältig ist die Wahrnehmung der Betroffenen, gemein ist diesen jedoch häufig nur die Bezeichnung «Schwindel». 
Unser Gehirn bekommt Informationen von verschiedenen Organen, um den aufrechten Gang, den Stand und die Orientierung im Raum sicherzustellen. Sicherlich spielt hier das Gleichgewichtsorgan eine zentrale Rolle, jedoch ist vielen nicht bewusst, dass wir uns auch über unseren Lagesinn, die Haptik (Sensibilität), die Augen und sogar mit unserem Gehör im Raum orientieren.


2.      Schwindelarten: 
Bei genauerer Betrachtung kann man den Schwindel jedoch in verschiedene Schwindelarten unterscheiden: 

  • Drehschwindel: Gefühl wie beim „Karussellfahren“, häufig wird dies durch Übelkeit oder Erbrechen begleitet, die Umgebung bewegt sich für die Betroffenen
  • Schwankschwindel: Wie auf einem Schiff, der Boden steht schief
  • Liftschwindel: Gefühl wie in einem Aufzug
  • Gang- oder Standunsicherheit: Häufig zieht es die Betroffenen auf eine Seite und sie fühlen sich unsicher in Bewegung, die Umgebung bewegt sich für die Betroffenen jedoch nicht.
  • Benommenheits- oder Betrunkenheitsgefühl: Ein Gefühl von «schummrig», nicht klar sehen, insbesondere bei Kopfbewegungen «hinkt» das Sehen nach und wird als verschwommen wahrgenommen. Die Umgebung bewegt sich nicht.

 
 
3.      Red Flags – wann sollte man keine Zeit verlieren: 

  • Seh-, Sprech-, Schluckstörungen, andere neurologische Ausfälle wie Sensibilitätsstörungen
  • Hörverlust und/oder Gesichtslähmung
  • Andere Lähmungsescheinungen / Paresen
  • Plötzliche, sehr starke / bohrende Kopfschmerzen
  • Sturz mit Bewusstlosigkeit

4.      Epidemiologie 

  • Schwindel ist neben Kopfschmerz das häufigste neurologische Symptom
  • Die häufigsten Ursachen sind peripher-vestibuläre Störungen (des Gleichgewichtsorganes), insbesondere der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS) welcher fast die Hälfte der Fälle ausmacht.
  • Bei den zentral-vestibulären Störungen (ausgehend vom Gehirn) handelt es sich bei 2/3 der Fälle um zerebrovaskuläre Erkrankungen (Durchblutungsstörungen) und nur mit ca. 1% um Tumore (meistens Vestibularisschwannom, gutartiges „Geschwulst“ am Nerv)
  • Häufig bleibt die Ursache aufgrund der Varianz der Symptomatik ungeklärt (20–40 %).
     
     

5.      Diagnostik

  • Besonders wichtig bei Schwindelbeschwerden ist die Anamnese, die in 80 % zur Diagnose führt! 
  • Das Führen eines Beschwerde-Tagebuchs ist sehr zu empfehlen, da Begleitsymptome bereits nach wenigen Tagen von Betroffenen oft nicht mehr erinnerlich sind, wenn sie zu ihren Beschwerden befragt werden.
  • Aus diesem Grund bitten wir Patienten vor einer Konsultation unseren Fragebogen auszufüllen, welchen Sie hier finden.
  • Neben der ärztlichen, klinisch-neurologischen Untersuchung kann das Innenohr (mit Hör- und Gleichgewichtsorgan) getestet werden: 

       o   Hörtest: Hierdurch werden u.U. Hörminderungen, welche nur einen überschaubaren 
            Frequenzbereich betreffen, aufgezeigt. Dies ist z.B. bei der Innenohrerkrankung wie 
            dem M. Menière oft wegweisend.

       o   Gleichgewichtstests: Es kann der Reflex vom Gleichgewichtsorgan zum Auge (diese 
            Organe sind verschaltet) gemessen werden. Läuft der Reflex ab, bedeutet dies, dass 
            auch das Organ funktioniert. Dies lässt sich für alle 3 Bogengänge pro Seite separat 
            messen.
       o   Die Erregbarkeit des Innenohres: Mittels warmer oder kalter Reizung eines Ohres
            (mit Luft oder Wasser) kann Schwindel induziert / hervorgerufen werden. Im 
            Seitenvergleich kann somit eine eventuelle Unterfunktion entdeckt werden, da nur 
            extrem selten beide Seiten betroffen sind. 
       o   Weitere Tests sind für spezielle Fragestellungen verfügbar, z.B. c- und oVEMPs, auf
            die hier nicht näher eingegangen wird.
 

6.      Die häufigsten Krankheitsbilder

 

6.1.   Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans (Peripher-vestibuläre Störungen)
 
6.1.1. Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS) 

  • Ursache: Verantwortlich für den Lagerungsschwindel sind frei bewegliche Kristalle in den Bogengängen 
  • Symptome: Spontanes Auftreten von 10–30 sec andauernden Drehschwindelattacken bei bestimmten Änderungen der Kopflage (z. B. Hinlegen, Umdrehen oder Aufrichten im Bett, Bücken, Kopf reklinieren). 
  •  Häufig Rezidive.

 
6.1.2. Neuritis vestibularis, Vestibularis-Neuropathie, akut peripher-vestbulärer Ausfall, akute unilaterale Vestibulopathie – Viele Namen, die alle dasselbe bezeichnen: 

  • Ursache: Akuter einseitiger Ausfall des N. vestibularis oder des Gleichgewichtsorgans wahrscheinlich viral-entzündlicher Genese 
  • Symptome: Heftiger akut einsetzender Dauerdrehschwindel, initial bis zur Gangunfähigkeit. Dauer: Tage. In der Regel ausgeprägte vegetative Symptomatik (Übelkeit und Erbrechen) 
  • Horizontaler und rotatorischer Spontannystagmus (Augenzucken) zur gesunden Seite (schnelle Komponente definiert Richtung), Fallneigung zur kranken Seite. 

6.1.3. M. Menière 

  •  Ursache: Endolymphatischer Hydrops, welcher zur Vermischung von Perilymphe (geringer Kalium- und hoher Natriumgehalt) und Endolymphe (geringer Natrium- und hoher Kaliumgehalt) mit folgendem Ausfall des Gleichgewichts- und Hörorganes führt
  • Typische Trias: Tinnitus oder Druckgefühl, passagere Hörminderung und Drehschwindelattacken während Minuten bis zu mehreren Stunden – ohne erkennbaren Auslöser

 
6.1.4. Vestibularisparoxysmie:
        Kompression des Hör-/Gleichgewichtsnervs (N. cochleovestibularis) durch
        hirnstammnahe, pulsierende Gefässe
6.1.5. Ototoxische Substanzen, welche das Innenohr schädigen (z. B. Aminoglykoside,
        Schleifendiuretika, NSAR, Zytostatika, Antidepressiva)
6.1.6. Vestibularisschwannom
 

6.2.   Zentral-vestibuläre Störungen
 

6.2.1. Vestibuläre Migräne (VM) 

  • Die VM ist die häufigste Ursache spontan auftretender episodischer Schwindelattacken im Kindes- und jungen Erwachsenenalter 
  • Die Diagnose episodischer Schwindelattacken bei Migräne bzw. vestibulärer Migräne ist zu erwägen, wenn wiederholt reversible Attacken mit unterschiedlicher Kombination von Schwindel und Kopfschmerz verbunden mit Übelkeit, Licht- und Lärm- oder Geruchsempfindlichkeit auftreten.

 
6.2.2. Andere zentral-vestibuläre Störungen 

  • Kleinhirn- und Hirnstammläsionen
  • Verengung oder Verschluss der hirnversorgenden Arterien (v.a. der A. basilaris)
  • Multiple Sklerose, M. Parkinson

 

6.3.    Weitere Störungen und Ursachen von Schwindel (gekürzt zusammengefasst)

 
6.3.1. Funktioneller Schwindel (Persistent Postural-Perceptual Dizziness, PPPD) 

  • Schwankschwindel („Sturm“ – jedoch nicht wie im Karussell!) oder Benommenheit, manchmal Gefühl wie auf Watte oder Wolken zu gehen; anders als bei vestibulärem Schwindel treten Erbrechen und Stürze nicht auf
  • Ausgelöst oder verstärkt in einer Menschenmenge, durch Stress oder durch visuelle Reize
  • Diskrepanz Sturzangst – bisher keine Stürze (anders als bei vestibulärem Schwindel)
  • Vermeidungsverhalten

 
6.3.2. Multifaktorieller Schwindel

  • Ist häufig eher eine Gangunsicherheit
  • Ätiologie: Multifaktoriell –> leichtere Störungen von verschiedenen Organsystemen (Seh-, Hörstörung, Polyneuropathie, zerebrovaskuläre Insuffizienz, schwache Beinmuskulatur, Gleichgewichtsstörung durch verlangsamte zerebrale Verarbeitungsprozesse sensorischer Informationen, nachlassende kardiovaskuläre Adaptationsfähigkeit), die in der Gesamtheit zu einem „Schwindelgefühl“ beitragen
  • Symptome: Patienten fühlen sich ständig unsicher im Raum und „wacklig auf den Beinen“. Patienten betonen: „nicht im Sitzen oder beim Autofahren“

 
6.3.3. Zervikogener Schwindel (wissenschaftlich umstritten, ob dies existiert) 

  • Bedingt durch muskuläre Verspannungen (schwache Evidenz)

 
 
6.3.4. Kardiovaskulärer Schwindel

  • Orthostatische Kreislaufregulationsstörung:

       Orthostatischer Schwindel ist häufig, bis zu 10 % , v. a. bei jungen Frauen und bei ca. 20
       % der > 65-Jährigen
 
 
Dies ist eine Übersicht mit Schwerpunkt auf den Störungen des Gleichgewichtsorgans, einem Fachgebiet der HNO /ORL. Es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Ermöglicht werden soll aber ein informativer Einblick in die unterschieldichen Schwindelursachen.
 
 

Teile dieser Aufstellung wurden von den mediX-Guidelines übernommen und

freundlicherweise vom Verein mediX Schweiz zu Verfügung gestellt.
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